Mittwoch, 5. Mai 2010

DAS UNMÖGLICHE THEATER von Hannes Becker, Wolfram Lotz und allen anderen


stellt sich nicht zuerst die Frage: Wie soll das auf der Bühne möglich sein?, sondern wird zuerst und unbedingt die Forderung erheben, das Unmögliche mit dem Möglichen, also der Realität, zusammenzudenken, selbst wenn beides nicht zusammenpasst. Das ist der eigentliche Konflikt, würde ich sagen, nach dem ja immer gesucht wird.

Der entscheidende Aspekt ist aber das Zusammentreffen von Text und realer Aufführung.

'Betrachten wir z.B. eine Situation, in der ich aus dem Raum gehe. Ich bin dabei zunächst im Raum und zu einem späteren Zeitpunkt außerhalb des Raumes. Wenn wir die Kontinuität der Bewegung voraussetzen, gibt es einen exakten Moment, in dem ich den Raum verlasse. Bin ich in diesem Moment im Raum oder bin ich nicht im Raum? Man könnte sagen, ich bin sowohl im Raum als auch außerhalb des Raumes. In diesem Fall wäre man schon bei „Ich bin im Raum und ich bin nicht im Raum."'


Aus: Franziska Schulz - Welchen Platz haben logische Sätze im Begriffssystem?

Ein Text des Unmöglichen Theaters ist immer stellenweise unbrauchbar für eine Aufführung, und vor allem: Eine Zumutung! Die Regie, die Dramaturgie ist dadurch gezwungen, Entscheidungen zu treffen. Ebenso wie das Schreiben des Textes sind die Entscheidungen frei, denn darum geht es ja.

Die meisten Theaterleute sind

(natürlich gibt es Ausnahmen)

Arschgesichter.


Aus: Wolfram Lotz – Der große Marsch

Ich kann niemandem vorschreiben, worum es ihm geht. Wenn ich konkret sage, es geht darum, geht es ihm in Wirklichkeit um etwas anderes.

Falls dieser Satz nicht eingeblendet werden soll oder nicht zum Thema des Abends passt, so kann folgender Satz (…) eingeblendet werden:

Für alles

hat man immer noch

einen Igel im Kühlschrank.


Aus: Wolfram Lotz – Der große Marsch

Dass es überhaupt um etwas gehen soll, so dass man es glaubt – das ist ja schwierig: Die Zuschauer, alle Welt sieht ja, dass das, was da im Theater passiert, zwar wirklich passiert, aber nur hier im Theater. Es ist künstlich, das weiß jeder, und keiner vergisst es lange.

„Theater an sich“, schreibt Sascha Macht, „ist ein launiger Affenzirkus.“


Aus: Sascha Macht - Die Liebe in apokalyptischer Landschaft.

Am besten wäre es daher, dass es um einen selbst geht.

Aber die Forderung, dass es um etwas geht, kann ich erheben, sogar auf eine Art, dass sie bei den Zuschauern Wirklichkeit wird, das glaube ich schon.

Ich frage mich immer - auch wenn ich nur einen Text schreibe – wie ein Text mit der Realität in Kontakt tritt.

Das Unmögliche Theater muss stattfinden, der Text reicht niemals aus! Aber: Ein Text des Unmöglichen Theaters, auch wenn er am Ende verschwindet, verschwindet nicht, da er niemals ganz eingelöst werden kann. Er bleibt mit seinen unmöglichen Forderungen bestehen – es sind Forderungen an die Wirklichkeit!

Alles ist Handlung und Realität.

Das Unmögliche Theater ist die Gleichzeitigkeit von Welt und Wirklichkeit, von Wirklichkeit als sichtbare Welt und Wirklichkeit als unsichtbare Welt, von Wirklichkeit als gleichzeitig sichtbare und gleichzeitig unsichtbare Welt und Handlung. (...) Das Unmögliche Theater ist die Einheit von Text und Theater als unmögliche Handlung. Insofern der Text unmögliche Handlung vorstellt, handelt er von der Wirklichkeit.

Aus: Hannes Becker - Vom Iltis-Projektchor zum Unmöglichen Theater. 1919-2008. Uerste 2010

Alles ist Handlung und Realität. Und alles ist künstlich. Ich glaube nicht, dass sich das ausschließt oder dass es ein Problem ist für das Theater, dass alles immer Spiel, Rolle, Zeichen ist. Es ist das Authentische am Theater, dass es das nicht verbergen kann und das Verlockende (für mich) beim Schreiben eines Textes für das Theater – auch wenn am Ende der Text verschwindet: Er kann sich auch dann noch auf die Forderung berufen, wirklich stattfinden zu müssen.

Ein Autor des Unmöglichen Theaters unterwirft sich beim Schreiben nicht der Realität, sondern nur der Kunst. Aber er nimmt die Realität (oder was dafür gehalten wird) zur Kenntnis, denn um sie geht es! (Auch wenn ich das nicht zu bestimmen habe, so ist es trotzdem so für mich.)

Hintergrund ist ein Autorbegriff, der – angesichts der Diskursmacht postdramatischer Aufführungspraxis – zwischen Kontrolle und Kontrollverlust, Herrschsucht und Machtverlust, Autorität und Lächerlichkeit hin- und hertaumelt und hin- und hertaumeln muss.


Aus: Mercedes Schellinger-List: Einführung in die Literaturwissenschaft. Edition Wirt 1996

Es ist nicht, wie es ist.

Wolfram Lotz

REDE ZUM UNMÖGLICHEN THEATER


Brüder und Schwestern,

man hat versucht, uns zu erzählen, dass die Zeit linear vergeht. Das stimmt, aber wir glauben es nicht!

Man hat versucht, uns zu erzählen, dass alles von oben nach unten fällt. Das stimmt, aber wir glauben es nicht!

Man hat über Jahrtausende versucht, uns zu erzählen, dass wir sterben müssen. Auch wenn es stimmt, glauben wir es nicht!

Die Würstchen der Wahrheit, die für uns gebraten werden, wollen wir nicht mehr essen. Wir wollen nicht mehr Zaungäste oder Zaunkönige oder Bachstelzen sein bei den Bedingungen des Lebens, denn das hier, Brüder und Schwestern, ist unser Leben. Wir haben ein Recht darauf, über die Bedingungen unseres Lebens zu entscheiden, und nicht nur darüber, ob wir nach dem Abiball Tischler oder Schreiner werden.

Warum, frage ich Euch, warum sollten wir sterben?

Man hat versucht, uns zu erzählen, dass das Leben durch das Sterben erst lebenswert werde. Was ist das für eine Gurke!

Und falls wir doch sterben müssen, was ich bezweifle, ja, was ein Blödsinn ist, dann müssen wir das Recht haben, selbst darüber zu entscheiden. Ich will nicht sterben, und ich will nicht, dass meine beiden Katzen Samuel und Gesine sterben, wenn sie es nicht ausdrücklich wollen, und meine Katzen wollen das nicht!

Aber die Wirklichkeit!, höre ich die Ideologen des Bestehenden rufen. Die Wirklichkeit sei nun mal so, wie sie sei!

Aber nur, weil es stimmt, was sie sagen, müssen wir das nicht glauben!

Warum sollten wir hinnehmen, dass die Wirklichkeit über die Bedingungen unseres Lebens entscheidet? Ist für uns denn nur von Belang, ob wir vor dem Sterben Rotkohl oder Sauerkraut essen? Ob wir Talkshows oder Dokus gucken, bevor der Krebs in unseren Eingeweiden explodiert?

Nein nein!

Wenn wir schreiben, fordern wir eine Autonomie von der Welt! Darüber sollten wir uns im Klaren sein. Wenn wir schreiben, so schreiben wir nicht einfach die Welt ab (wie sollte das überhaupt gehen), sondern wir entwerfen Vorschläge, Änderungen, Forderungen, indem wir die Welt nicht sehen, wie sie ist, sondern wie sie für uns ist, und wie sie sein könnte, wenn man uns lassen würde, oder wie sie nicht wäre, niemals.

Wenn wir schreiben, so propagieren wir die Fiktion! Die Fiktion ist unsere kümmerliche Hand, die aus der Kiste der Wirklichkeit heraus nach süßen Früchtchen greift, die dort doch hängen müssen, an einem Baum oder meinetwegen auch an einer Wäscheleine oder an der Kralle eines dicken, fröhlichen Vogels, der dort hoffentlich seine freundlichen Runden dreht, wie dem auch sei: Wir wollen nach diesen süßen Früchtchen greifen! Wer sollte uns verbieten, nach diesen Früchtchen zu greifen! Wer will uns noch drohen, uns dann aus dem Paradies zu vertreiben, wir sind da ja gar nicht! Wir wollen Früchtchen fressen, viele süße Früchtchen! Jetzt geht’s los!

Es gibt einen Ort! Brüder und Schwestern, es gibt einen Ort! Ihr wisst, dass ich das Theater meine. Das Theater ist der Ort, wo Wirklichkeit und Fiktion aufeinandertreffen, und es ist also der Ort, wo beides seine Fassung verliert in einer heiligen Kollision. Das Theater ist der Berg Harmaggedon!

Was sind Theaterstücke anderes als Anleitungen für die Wirklichkeit?

Das Theater ist der Ort, an dem die Fiktion in Wirklichkeit umgewandelt wird. Jaja, aber dann lasst uns das auch machen!

Machen wir doch!, rufen die Würstchenpeter des Bestehenden. Das aber, Brüder und Schwestern, ist eine Lüge, und ich bitte Euch, sie als solche zu erkennen.

Denn die Fiktion, die diese Pimmelschwäne für das Theater entwerfen, hat keine Autonomie. Im Wissen darum, dass die Fiktion aufsetzen wird auf der Landebahn der Wirklichkeit, passen sie diese zuvor an die Wirklichkeit an. So opfern sie die Fiktion auf dem Altaratartrara der Wirklichkeit. Dabei darf nicht die Wirklichkeit die Fiktion bestimmen, sondern die Fiktion muss die Wirklichkeit verändern! Oder ist es wirklich unser Wunsch, zu sterben? Ist diese Wirklichkeit etwa vollkommen? Was für eine blöde Frage: Nein, natürlich nicht, sie ist ungenügend, die Wirklichkeit ist ein löchriger Schuh, den wir uns so nicht anziehen werden!

Was also haben wir zu fordern in unseren Theaterstücken:

Dass die Bäume blühen im Winter,

dass die Straße nicht aufhört, wo das Feld beginnt,

die Bombe implodiert,

der Rauch aufsteigt, bevor das Feuer entzündet ist,

dass grünes grünes Moos auf unseren Köpfen wächst,

der Pelikan bellt,

unsere Spucke nach oben fliegt,

wir wandern können durch die Zeit, querfeldein, wie durch den Raum,

dass das Sterben nicht mehr gilt, man uns das nicht mehr nimmt,

was uns das Einzige ist: Unser Leben.

Brüder und Schwestern, das Unmögliche Theater ist möglich!

Es gibt keinen Grund, mir das zu glauben, also tut es trotzdem!

Im Namen der menschlichen Freiheit, des Freischütz, Freiburgs, Frischkäses, Friederikes:

Das Unmögliche Theater ist möglich, trotz allem und gerade deshalb!

Aber lasst uns nicht glauben, es könnte gelingen. Lasst uns nicht glauben, wenn es gelänge, dann sei es gelungen. Wenn es gelingt, die Wirklichkeit zu verändern, ist es wieder misslungen, ist es die Wirklichkeit, die überwunden werden muss, in die Ewigkeit hinein!

Wir dürfen in unseren Entwürfen nicht so tun, als gäbe es ein Heil, das zu erreichen sei, auf das wir uns setzen könnten, wie auf eine Frotteewärmflasche.

Das Unmögliche Theater ist die ewige Forderung!

Das Unmögliche Theater ist das fortwährende Scheitern in eine bessere Zukunft hinein und vorwärts in die Vergangenheit!

Das Unmögliche Theater ist für den Menschen, aber auch für meine Katzen und die anderen Tiere (große und kleine)!

Es ist nicht, wie es ist! Es ist, wie wir wollen, dass es wird! So ist es! So ist es nicht!

Aus: Werner Matthei / Ann-Kathrin Rütte: Materialien zum Unmöglichen Theater. Matthei&Rütte 2009 (Books on demand)

Das unmögliche Theater bringt nicht Tod und Hass.

"Gladys' Blick weicht nie ab. Einen Moment steht er zu ihrer Linken, und während sie weiterklatscht, wendet sie nie den Blick von ihrem Sohn. Dann weicht er zurück, klettert zurück auf die Bühne, und das Stück ist vorbei, das Studiopublikum klatscht immer noch, Gladys zusammen mit dem Rest - aber für sie ist es anders, selbst anders als für den Mann auf ihrer Seite. Für sie ist dies der Höhepunkt von allem, was sie sich jemals erträumt oder vorgestellt hatte. Ihr Blick ist durch Liebe verwandelt."


Aus: Peter Guralnik - Last Train to Memphis. Elvis Presley - sein Aufstieg 1935-1958. Bosworth 2005

Das Unmögliche Theater bringt nicht Tod und Hass, sondern Liebe, Wut und Zerstörung.

Das Unmögliche Theater macht kaputt, was es gar nicht gibt.

Im Unmöglichen Theater ist der Text nicht nur für die Aufführung da und die Aufführung nicht nur für den Text, sondern beides ist für sich und ist große Kunst oder zumindest sehr schön.

Hannes Becker: Das Unmögliche Theater bekennt sich auch zur Schönheit. Wie kann man das verstehen?

Mathias Matussek: Ohne eine Realität, die verwandelt wurde, für das Theater, die vielleicht sogar – in einem revolutionären oder melancholischen Sinne – in der Verwandlung verloren geht (bis auf einen kleinen Rest, auf den es ankommt, der an das Verlorene erinnert, wenn es nicht sogar das in sich trägt, was erst noch neu hinzukommt), ohne eine solche Realität, um die es geht, gibt es keine Schönheit im Theater. (Oder findet ihr etwas anderes schön? Ihr findet bestimmt etwas schön, was ich auch nicht hässlich nennen würde, sondern was in Wirklichkeit weder hässlich noch schön ist. Etwas, das nur aus dem Theater kommt oder was vom Theater in seiner alten Form auf die Bühne gezerrt wird und dort schrecklich entblößt dasteht und etwas bedeuten soll, was es nicht bedeuten kann und was dann allen fehlt außer euch, doch auch euch fehlt es, aber ihr bemerkt es nicht.) Insofern es eine Schönheit im Theater geben soll, was das Unmögliche Theater tatsächlich möchte (es kommt mir wenigstens so vor), wozu es sich bekennt, muss es auch eine Auseinandersetzung mit der Realität geben (gleichermaßen die Realität im Theater und außerhalb des Theaters – also die Realität eines Ortes, an dem Innen und Außen sich berühren und durchdringen, ich denke, dieser Ort liegt in den Köpfen der Zuschauer – und auch der anderen Leute, die Theater machen, insofern sie es, als Ort in ihrem Kopf, auch von Zeit zu Zeit, wie Zuschauer verlassen können), eine Realität, die immer als veränderbar gedacht werden muss, die – wenn sie sonst nicht veränderbar scheint – immerhin noch im Theater veränderbar ist. Was ich wichtig finde: Die Realität wird im Theater wirklich verändert, es sieht nicht nur so aus. Man denkt: “Ja, die tun ja nur so, das sind ja nur Schauspieler” (wieder bedarf das Theater deshalb der Unterstützung der Tiere) – nicht, weil sich die Realität im Theater nicht geändert hätte, sondern weil die Realität außerhalb des Theaters der Aufforderung nicht folgt und sich nicht ebenfalls verändert, was eine große Enttäuschung ist, eine Enttäuschung gegenüber der Wirklichkeit, die das Theater, damit es nicht lügt, in seinem Inneren aushalten, herhalten muss, aber auch überwinden kann, jederzeit, auf jene Schönheit hin, nach der Sie vielleicht fragen.


Aus: Ann-Kathrin Rütte: Was sagen sie, wenn sie lieber nichts sagen. Interviews. Propoia 1987

Wie die Wirklichkeit stellt auch der Text Forderungen an das Theater, die dessen Möglichkeiten übersteigen.

Beim Unmöglichen Theater ist vieles so nicht aufführbar, aber anders schon.

Lewis Paine: Ich dachte, wenn ich hier auftrete, obwohl ich tot bin, wenn ich hier lebendig auftrete, obwohl ich zum Tode verurteilt war und hingerichtet wurde, von wem auch immer, wenn ich dann trotzdem hier bin, dann würde damit so etwas wie eine Sehnsucht gezeigt.


Aus: Wolfram Lotz – Der große Marsch

Das Unmögliche Theater ist sehnsüchtig!

Am besten wäre es daher, sich an die eigene Existenz zu erinnern, dass sie also künstlich ist, wie das Theater, und wirklich ist, wie das Theater, aber (anders als das Theater, das sich vor sich selbst verbirgt) mit allen Mitteln des Theaters.

Das unmögliche Theater ist auch nur ein Anything goes, aber diesmal ist es das Anything goes der Verzweiflung!

Was künstlich ist, lässt sich verändern.

Wolfram Lotz: Inwiefern ist/kann das Unmögliche Theater gesellschaftlich relevant (sein)?

Josef Ackermann: Das Unmögliche Theater gesteht sich ein, dass das, was für das Theater ein "Inhalt" sein könnte (ob nun eine politische Stellungnahme zu diesem Inhalt – häufig “Thema” genannt, ich weiß nicht warum – gewünscht wird oder nicht), dass ein solcher Inhalt im Theater nicht ohne ein Engagement des Theaters gegenüber sich selbst, gegenüber seiner Form zu haben ist. Wer im Theater ist und etwas sieht, was außerhalb des Theaters ist, und denkt, dass Theater habe darüber zu reden, sich dazu zu verhalten, muss ja auch zugeben, dass, was immer außen gesehen wurde und dann in das Theater kommt, sich dort verwandeln muss, damit es im Theater als das erkannt werden kann, als das es außerhalb des Theaters erkannt wurde. (Ich weiß aber nicht, ob das immer möglich ist – was wird aus den Menschen im Theater? Figuren, Schauspieler. Deshalb muss es Tiere geben. Auch diese werden ja zum Symbol, aber zu einem, dessen Bedeutung man nicht kennt. Realität!) Das, was ich meine, diese Inhalte, können sie ihre Form behalten, in der sie im Alltag den Menschen begegnen? Die Form, in der sie in den Medien erwähnt werden? In der sie im Nachhinein in Kunst, Geschichte verwandelt werden? Das sind ja alles schon verschiedene Formen, die ein Inhalt in der Gesellschaft annimmt, annehmen kann. Und insofern das Theater auch Gesellschaft ist (und das denke ich doch), sollte es mit eigenen Formen auf solche Inhalte reagieren, die ja, insofern sie als ein Inhalt erkannt und isoliert werden, eine Abstraktion sind, also genau das, was die Kunst braucht, um etwas zu erschaffen: Abstraktion. Am besten ist es natürlich, wenn man auch die Relevanz solcher Abstraktionen (Inhalte, Themen) hinterfragt und eigene Abstraktionen erschafft, wenn man als Theater nicht nur immer reagieren will (die Unsterblichkeit, ja, vielleicht; insgesamt eben eine Entfernung zu anderen Inhalten in der übrigen Gesellschaft, in die der Inhalt im Theater die Zuschauer und alle Beteiligten am Theater im Theater versetzt, damit sie, die Zuschauer, aus dieser Entfernung wieder etwas mehr sehen können). Ich denke, dass Theater, das ja ganz künstlich ist, weil es ja Kultur ist, sollte sich zu dieser Künstlichkeit bekennen und sich auf diese Weise aber Inhalten annehmen, die außerhalb des Theaters liegen, die dort erschaffen wurden, und zwar nicht für das Theater erschaffen wurden. Diese Inhalte, das, was für die Menschen in der Gesellschaft Realität oder Natur sein soll, sind ja auch eine erfundene, gemachte Sache, aber sie, die gemachte Realität und Natur gibt häufig – muss man sagen – nicht zu, dass sie gemacht ist, weil sie nicht verändert werden will, nicht als veränderbar erscheinen will. Das Theater kann zeigen, dass die Realität verändert werden kann, indem es die Realität verändert. Wie gesagt: Das Theater muss die Realität ja verändern, weil sie sonst nicht im Theater vorkommt. Und was will es ohne die Realität?


Aus: Ann-Kathrin Rütte: Was sagen sie, wenn sie lieber nichts sagen. Interviews. Propoia 1987

Es ist alles immer auf eine Realität hin geschrieben – die Bühne – die aber (im Gegensatz zur Realität woanders) auch zugibt, dass sie künstlich ist. Das ist das Authentische am Theater, finde ich, dass es künstlich ist – also möglich – und das auch nicht verbirgt; und dass ich im Schreiben für das Theater das Unmöglichste in den Bereich des Möglichen verrücken, hier das Entfernteste miteinander verschränken kann.

Es ist das echte Blut wirklich unterdrückter Menschen, und das aufführende Theater hat einen hohen Preis dafür bezahlt.


Aus: Hannes Becker - Befreundete Menschen

Alles ist erfüllt von einer großen Erwartung nach dem Äußersten, das sich dann auch tatsächlich zeigt, verhüllt vielleicht, aber es zeigt sich und findet statt.










Das Unmögliche Theater ist möglich!

Aber das Unmögliche Theater ist niemals ganz das, was man haben oder sehen will, finde ich. Und es wäre darum wichtig für mich, dass da noch etwas ist, was man nicht sieht und nicht hat.

Etwas sieht man ja im Theater, immer sieht man ja was im Theater, und immer bekommt man im Theater etwas gezeigt, aber ich glaube schon, auch im Theater, wo alles gezeigt wird,

Die deutliche Bewegung der Lippen, die fremde Stimmen, der fremde Text, die eigene Zunge, der eigene Körper.


Hans Martin: Theorie als Ausdruck. Allgemein - Zusätzlich - Konkret. Zu Gusen & Bauer 1992

im Theater, wo alles gezeigt wird, ist das Wichtigste verborgen: wenn es gut ist, auf eine Art, dass alle, die im Theater sind, sich danach sehnen und spüren können, dass es vorhanden ist; und, wenn es nicht vorhanden ist, vorhanden sein sollte.

Ich denke, was erst noch Vorhanden sein sollte: das Neue, ist das Thema, das Anliegen, der Inhalt; aber der Form nach als Geheimnis. Das Unmögliche Theater muss unsichtbar sein vor der schlimmstmöglichen Zukunft, damit wir jetzt, vor uns, das erst noch Mögliche erkennen.

Die Fahne des Unmöglichen Theaters


Die Fahne des Unmöglichen Theaters ist blau, sie ist von einem himmlischen Blau und weht vor den Himmeln der Zukunft, den blauen Himmeln der Zukunft. Was für eine Welt wird diese Welt sein, vor deren zukünftigen Himmeln die Fahne des Unmöglichen Theaters wehen wird? Wird es eine Welt der Wüsten sein, eine Welt des Glückes oder des ewigen Eises? Es wird, meine Damen und Herren, eine Welt der Meere sein, eine Welt der blau spiegelnden Meere. Die Welt des Unmöglichen Theaters wird vom Meer ganz bedeckt sein, sie wird den blauen Himmel der Zukunft spiegeln, und dazwischen wird nichts sein, keine Wolke, kein Mensch und kein Tier, nichts, was an uns heute erinnert – nur die Fahne des Unmöglichen Theaters. Die blaue, die unsichtbare Fahne des Unmöglichen Theaters.


Aus: Werner Matthei / Ann-Kathrin Rütte: Materialien zum Unmöglichen Theater. Matthei&Rütte 2009 (Books on demand)

Nichts, was nicht schon bekannt wäre.

Ach, hören Sie doch auf mit Ihrer Originalität! Hören Sie auf! Das Unmögliche Theater ist vielleicht nicht neu, aber es ist notwendig! Und jetzt würde ich hier gerne in Ruhe zu Abend essen!

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